Von Fernando Borja
Eine Reise durch die Kanäle des schwedischen Archipels
Es gibt Reisen, die beginnen lange bevor man die Segel hisst.
Diese begann in Stockholm – mit dem Boot, das durch die Kanäle zwischen hunderten von Inseln geschleppt wurde, auf dem Weg nach Sandhamn, einem kleinen nautischen Paradies im Stockholmer Schärengarten und dem Austragungsort der J/70-Europameisterschaft 2025.
Schon die Überfahrt war ein Abenteuer: Vom Segelclub in Stockholm wurden die Boote einzeln in einem etwa 40-minütigen Schlepp durch ruhige, kalte Gewässer gebracht – vorbei an endlosen Wäldern und Holzhäusern, die aussahen, als wären sie direkt aus einem nordischen Märchen entsprungen.

Eine südamerikanische Crew auf Wikingerboden
Dieses Jahr wollte ich etwas Neues ausprobieren: ein rein südamerikanisches Team.
Wir waren zu viert an Bord – zwei Chilenen, ein Argentinier und ein Uruguayer.
Nicolás Robertson war unser Taktiker und Spinnaker-Trimmer (Chile), Coqui Chémez trimmte das Großsegel (Argentinien), Andrés López war an der Vorschot (Uruguay), und ich stand am Steuer.
Ein lateinamerikanisches Team, das gegen 64 Crews aus ganz Europa und der Welt antrat: Schweden, Norwegen, Italien, Deutschland, Türkei, Spanien, Portugal, drei brasilianische Teams und sogar Teilnehmer aus den USA.
Wir wohnten auf einer kleinen Insel gegenüber von Sandhamn – Lökholmen – in einfachen Baracken, wo auch Teams aus Schweden, Norwegen und Deutschland untergebracht waren.
Es herrschte eine fantastische Kameradschaft: Abends wurde auf Englisch gesprochen, gemeinsam an langen improvisierten Tischen gegessen, Regattageschichten erzählt und technische Tipps zu Trimm und Taktik ausgetauscht – während die Sonne über dem Wasser kaum unterging.
Die ersten Tage: starker Wind, gutes Gefühl

Die Tage vor der Meisterschaft waren vielversprechend.
Wir trainierten bei starkem Wind – genau die Bedingungen, bei denen das Boot aggressiv, kraftvoll und lebendig reagiert.
Wir segelten mit Rhythmus, Vertrauen und dem Gefühl, dass sich die monatelange Arbeit auszahlt.
Doch wie so oft auf See hatte das Meer andere Pläne.
Die wahre Herausforderung: wenig Wind, viel Geduld
Vom ersten Lauf an wurde der Wind launisch.
Nur 8 bis 10 Knoten, mit Spitzen bis 12 – ein rein technisches Szenario, bei dem jeder Meter zählt.
Und genau da merkten wir, dass etwas nicht ganz stimmte.
Unsere Starts waren gut, aber uns fehlten Geschwindigkeit und Beschleunigung.
Wenn das Boot eine Welle traf, verloren wir den Schwung, und die Gegner „bügelten“ uns – wie man im Segeljargon sagt – aus, nahmen uns den Wind und zwangen uns, neue Wege zu suchen.
In einer so engen und starken Flotte kostet jede Sekunde Plätze.
Frustration und Entschlossenheit lagen dicht beieinander. Das Team arbeitete weiter, testete, lernte.
Am letzten Tag, nach mehreren Anpassungen, fuhren wir unser bestes Rennen: die richtige Seite des Kurses gewählt, besserer Trimm – und ein Ergebnis, das uns, obwohl fern vom Podium, mit einem Lächeln zurückließ.
Wir beendeten die Meisterschaft auf Platz 50 von 64. Kein Traumergebnis – aber eine enorme Erfahrung.
Das technische Detail, das alles veränderte
Während der Regatta entdeckten wir etwas Entscheidendes:
Wir hatten vor der Saison die Salinge (Kreuzstützen) des Masts geändert.
Die neuen waren auf jeder Seite vier Zentimeter länger – was den Mast deutlich steifer machte.
Bei starkem Wind war das perfekt: weniger Biegung, mehr Power.
Aber bei leichtem Wind war es genau das Gegenteil.
Wir brauchten einen flexibleren Mast, mit mehr Rake (Neigung) und Krümmung, um das Vorsegel tiefer und damit effizienter zu machen.
Uns fiel das erst zur Mitte der Meisterschaft auf.
Nachdem wir die Spannung der Wanten angepasst hatten, fühlte sich das Boot plötzlich ganz anders an – und schneller.
Eine wertvolle technische Lektion: Manchmal entscheiden die unsichtbaren Details über den Ausgang einer ganzen Regatta.
Was wirklich zählt: die Gemeinschaft

Abgesehen vom Endergebnis ist das, was ich an der internationalen J/70-Klasse am meisten schätze, der Geist der Gemeinschaft.
Es ist eine extrem wettbewerbsorientierte, aber zugleich unglaublich menschliche Klasse.
Zwischen den Wettfahrten und beim Abendessen teilt man Erfahrungen mit Seglern aus ganz Europa, den USA oder Australien.
Alle sprechen über Trimm, Taktik und kleine Anekdoten – und alle helfen sich gegenseitig, unabhängig von der Flagge am Heck.
Diese Mischung aus Wettbewerb und Kameradschaft macht diesen Sport so besonders.
Es geht nicht nur ums Gewinnen, sondern ums Wachsen, Lernen – und darum, das Privileg zu genießen, auf dem Meer zu sein mit Menschen, die dieselbe Leidenschaft teilen.
Der Blick nach vorn

Unser Ziel war es, unter die Top 30 zu kommen.
Wir blieben zwar weit davon entfernt, kehren aber mit vielen Erkenntnissen und noch mehr Energie zurück.
Die nächste Herausforderung wird sein, all das Gelernte umzusetzen, das Setup zu optimieren und mit mehr Geschwindigkeit, mehr Wissen und derselben Leidenschaft wieder aufs Wasser zu gehen.
Denn beim Segeln – wie im Leben – verliert man nie:
Man gewinnt oder man lernt.
Schlussgedanke
Die J/70-Europameisterschaft in Sandhamn war mehr als nur ein Wettkampf – sie war eine Erfahrung voller Freundschaft, Lernen und Demut gegenüber dem Meer.
Darum geht es beim Segeln: das Gleichgewicht zu finden zwischen Wind, Boot – und sich selbst.
Wir sehen uns auf dem Wasser.
— Fernando Borja



